'DREIDIMENSIONALE KINDERWERKE' ALS BEGRIFF UND BILDSPRACHEBaumhaus

In der Kunstpädagogik wurde die "Kinderzeichnung" lange Zeit emblematisch für alle weiteren Ausdrucks- und Subjektivierungsformen von Kindern verwendet. So betiteln Kirchner/Kirschenmann/Miller (2010) ihren Sammelband zur gleichnamigen Tagung in Augsburg mit "Kinderzeichnung und jugendkultureller Ausdruck" und stellen fest: "Der Begriff 'Kinderzeichnung' schließt alle möglichen Ausdrucksformen des bildnerisch-ästhetischen Verhaltens ein – vom Bauen, Basteln, Sammeln zum digtialen Gestalten und dargstellendem Spiel -, ebenso wie der 'jugendkulturelle Ausdruck' von der Ausstattung des Jugendzimmers über Graffiti zur Mode usw. reicht." (ebd. S. 9).

Die wissenschaftliche Reflexion über 'Kinderzeichnungen' setzt ab 1880 ein (Wittmann 2018) bzw. ab hier kann von einem 'In-Erscheinung-Treten' von Kinderzeichnungen als Phänomen für die Wissenschaft gesprochen werden. Untersuchungsgegenstand sind zu diesem Zeitpunkt vor allem 'Zeichnungen'. Aus diesem traditionellen Verständnis heraus etablierte sich über Jahrzehnte hinweg eine Wissenschaftspraxis, die in den unterschiedlichen Diskursen und Disziplinen mit dem Begriff der 'Kinderzeichnung' operierte. Programmatisch hierfür steht die Publikation von Richter (1997) "Die Kinderzeichnung: Entwicklung, Interpretation, Ästhetik" und in Anlehnung daran auch der oben genannte Tagungsband.

Aktuelle Studien zu kindlichen Bildprozessen befassen sich zunehmend auch mit anderen Formen als derjenigen der Zeichnung. Offener und unter Bezugnahme auf den 'Bildbegriff' formulieren Schulz/Seumel (2013) den Titel ihres Tagungsbands, der zwar an die Augsburger Tagung anknüpft, aber den Begriff der Kinderzeichnung durch 'Bildsprache' ersetzt: "U20 - Kindheit Jugend Bildsprache". So wie der erweiterte Bildbegriff alle visuellen Erscheinungen vom Gemälde bis zur Performance umfasst, können unter 'bildsprachlichen Äußerungen' von Kindern und Jugendlichen alle bildnerischen Prozesse und Manifestationen gedacht und näher bezeichnet werden. – Für den Bereich des Bastelns und Bauens identifizieren Martinetti/Spielmann (2021) noch begriffliche Unschärfen sowie ein Desiderat in der kunstpädagogischen Forschung und unternehmen den Vorschlag für eine neue Bezeichnung. Sie sprechen von "dreidimensionalen Kinderwerken" (ebd.). Die Abbildung rechts zeigt ein als 3D-Ansicht archiviertes Kinderwerk. Ein Klick darauf öffnet diese auf der Online-Plattform Sketchfab.com.

Raphael Spielmann

 

Literatur
Kirchner, Constanze/Kirschenmann, Joahnnes/Miller, Monika (2010): Kinderzeichung und jugendkultureller Ausdruck. Forschungsstand – Forschungsperspektiven. München: kopaed.

Martinetti, Theresa/Spielmann, Raphael (2021): 3D-Ansichten als neues Medium der Archivierung und Datenerhebung dreidimensionaler Kinderwerke im Rahmen eines forschenden Studierens. In: BDK-Mitteilungen 3/2021.

Schulz, Frank/Seumel, Ines (2013) (Hg): U20 – Kindheit Jugend Bildsprache. München: kopaed.

Wittmann, Barbara (2018): Bedeutungsvolle Kritzeleien. Eine Kultur- und Wissensgeschichte der Kinderzeichnung, 1500–1950. Zürich: Diaphenes.